Huldreich Zwingli: Die Freiheit der Heiligen Schrift
Huldreich Zwingli wird am 1. Januar 1484 in Wildhaus (ca. 50 km südlich von St. Gallen) in der heutigen Schweiz geboren. Er geht u.a. in Basel und Bern zur Schule und studiert dann in Wien und Basel zunächst allgemeine Wissenschaften, dann noch ein halbes Jahr Theologie. 1506 wird Zwingli Pfarrer in Glarus. Es war damals in der Eidgenossenschaft üblich, dass ein Ort Soldaten gegen Gebühr als Söldner auslieh. Glarus stellt seine Soldaten dem päpstlichen Heer zur Verfügung, nicht Habsburg und auch nicht dem französischen König; auch Zwingli hatte für den Papst votiert. Zwingli begleitet 1513 als Feldprediger 500 Glarner Soldaten. Die Kriegserfahrungen sind ein Grund für Zwingli, am Söldnerwesen zu zweifeln.
1516 wechselt Zwingli nach Einsiedeln. In dieser Zeit vertieft Zwingli seine theologischen Studien, bringt sich selber Griechisch bei, er wird ein gebildeter Theologe. In diesen Jahren erfolgt bei ihm auch der Durchbruch zur reformatorischen Erkenntnis, wohl unabhängig von Luther. Denn seine reformatorische Grunderkenntnis besteht in der Hinwendung zur Bibel. Sie alleine ist Autorität, und nicht die Tradition der Kirche. Alleine sie bringt dem Menschen das Evangelium.
In späteren Jahren verbindet Zwingli diesen Grundansatz mit Luthers Rechtfertigungslehre. 1519 wird Zwingli als Stadtpfarrer nach Zürich berufen. Und sein erstes Werk besteht darin, den Predigten fortlaufende Bibeltexte zugrunde zu legen und nicht mehr die nach dem Kirchenjahr geordneten Perikopen; auch dies ein Ausdruck für die Überordnung der Bibel. Zwingli wendet sich in seinen Predigten jetzt dezidiert gegen das Söldnerwesen, das vom Rat Zürichs 1522 auch verboten wird. 1522 ist ein für die Reformation entscheidendes Jahr in Zürich. Im Hause des Buchdruckers Christoph Froschauer findet in der Fastenzeit ein demonstratives Wurstessen statt, mit dem das kirchliche Fastengebot bewusst gebrochen wird; denn Fastengebote seien nur kirchliche und keine göttlichen Gebote. Die Wurstesser berufen sich auch auf Zwingli. Im April 1522 veröffentlicht Zwingli seine Schrift: "Die freie Wahl der Speisen". Darin vertritt Zwingli ein evangelisches Freiheitsverständnis: Von allen menschlichen Geboten und Ordnungen sind die Christenmenschen freigestellt, ihnen ist nicht unbedingter Gehorsam zu leisten. Und weil das Fastengebot keine Autorität der Bibel hinter sich hat, muss man ihm keine Folge leisten. Gleichzeitig müssen Christenmenschen ihre Erkenntnis nicht jederzeit durchsetzen, sondern können auch auf ihre Freiheit verzichten.
Die Autorität der römisch-katholischen Kirche ist in Zürich in Frage gestellt. Der Rat Zürichs lädt 1523 zu einer Disputation ein, um zu klären, wie es weitergehen soll; auch Vertreter der römisch-katholischen Kirche werden eingeladen. Der Maßstab, nach dem der Rat Zürichs urteilen will, ist die Heilige Schrift. Es fällt auf, dass einerseits der Rat selber in kirchlichen Dingen urteilen will - hier wird etwas von der Organisation und vom Selbstbewusstsein der eidgenössischen Orte deutlich. Und andererseits ist der Maßstab die Bibel, also hat die reformatorische Botschaft hier Früchte getragen. Das Ergebnis der Disputation ist deutlich: Alle sollen in Zukunft auf der Grundlage der Bibel predigen.
In den Folgejahren vertieft sich Zwinglis theologische Erkenntnis weiter; deutlich wird, wie Zwingli sowohl Elemente der Philosophie des Erasmus wie auch der Theologie Luthers integrieren kann. Zwingli führt die "Prophezei" ein, wöchentliche Bibelauslegungen (übrigens eine Pflichtveranstaltung für alle Pfarrer); daraus entwickelt sich eine neue Bibelübersetzung. In der Stadt Zürich setzt sich die Reformation auch im Alltag durch: Viele Priester heiraten, die Klöster leeren sich, die Gottesdienstordnung wird verändert und vereinfacht. Auch werden Bilder aus den Kirchen entfernt. Zwingli heiratet 1524 Anna Reinhart, beide haben vier Kinder. Drei Konfliktfelder beschäftigen Zwingli in den Jahren nach 1525.
a) Neben den römisch-katholischen Altgläubigen entwickelt sich in Zürich eine neue Gruppe, welche die Reformation radikaler als Zwingli durchsetzen will. Dazu gehört u.a. die Nichtanerkennung und Nichtdurchführung der Kindertaufe, weshalb sie "Täufer" bzw. "Wiedertäufer" genannt werden. Im Mittelpunkt steht das Ideal einer reinen Gemeinde von Glaubenden, die außerhalb der Stadtmauern Zürichs auch verwirklicht wird. In der Abwehr ihrer Theologie hat Zwingli die von ihm ursprünglich entwickelte Problematisierung der Kindertaufe wieder aufgegeben. Ein dunkles Kapitel der Reformation ist es, wie in der Folgezeit mit den Täufern umgegangen wurde; sie wurden verfolgt, in unchristlicher Weise vertrieben und teilweise sogar ermordet.
b) Mit Luther führt Zwingli eine literarisch heftige Diskussion ums Abendmahl. Luther beharrt darauf, dass die Elemente Brot und Wein in der Abendmahlshandlung tatsächlich in Leib und Blut Christi verwandelt werden; Grund für ihn sind die Einsetzungsworte, nach denen es heiße: Dies ist mein Leib, bzw. dies ist mein Blut. Zwingli hingegen versteht diese Aussagen so, dass sie auf das Versöhnungsgeschehen am Kreuz bezogen sind: Da ist das Entscheidende geschehen, und die Elemente verweisen auf dieses einmalige Erlösungsgeschehen, das Gott selber der Gemeinde vermittelt. Das Marburger Religionsgespräch 1529 bringt keine Einigung zwischen Luther und Zwingli.
c) Der dritte Konflikt war ein innereidgenössischer. Zwar hatte sich die Reformation neben Zürich auch in anderen Orten (St. Gallen, Schaffhausen., Bern, Basel) durchsetzen können. Aber in anderen Orten (heute Kantone genannt) war das nicht der Fall. Der Konflikt zwischen den evangelischen und katholischen Orten wird politisch brisant und schließlich sogar mit kriegerischen Mitteln ausgefochten. Im sogenannten zweiten Kappeler Krieg vor den Toren Zürichs ist Zürich den katholischen Innerschweizern unterlegen; am 11. Oktober 1531 fallen 500 Zürcher, darunter auch Zwingli.
Mit Zwinglis Tod ist die reformatorische Bewegung in der Eidgenossenschaft jedoch nicht zu Ende, sie geht vielmehr weiter und konsolidiert sich. Nachfolger Zwinglis in Zürich wird für mehr als vierzig Jahre Heinrich Bullinger, ein Freund und Kollege Zwinglis. Er knüpft zahlreiche internationale Kontakte und sorgt für soziale und kirchliche Reformen. Auch in anderen Schweizer Städten wirken wichtige Reformatoren, so neben anderen Johannes Oekolampad und Oswald Myconius in Basel und Berchtold Haller in Bern.