Zum Holocaustgedenktag am 27. Januar

Martin Heimbucher vor dem Gedenkstein am ehemaligen Standort der Synagoge in Leer (Foto: Ulf Preuß)

Kirchenpräsident Martin Heimbucher hält eine Auseinandersetzung mit den Anfängen des Holocaust für notwendig. Aufgabe der Kirche sei es, für das Recht einzustehen.

Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar schreibt er:


"Nicht allein an das beispiellose Ende des Holocaust muss erinnert werden. Ebenso wichtig ist es, sich mit den banalen Anfängen auseinanderzusetzen. Von dem unfassbaren Ziel, dem fabrikmäßigen Massenmord, konnten Viele hinterher behaupten: „Davon haben wir nichts gewusst.“ Den Weg dorthin aber, den haben alle mitbekommen: nämlich den Weg der brutalen und systematischen Entrechtung ihrer jüdischen Nachbarn. Nur wenige haben sich dagegen aufgelehnt.

Der vom nationalsozialistischen Staat betriebene Terror gegen die Juden begann gleich am Anfang. Am 1. April 1933 postierten sich uniformierte SA-Trupps vor den Geschäften jüdischer Kaufleute: „Deutsche, kauft nicht bei Juden!“ Es kostete schon einigen Mut, sich diesem Aufruf zu widersetzen. In Berlin ließ es sich z.B. die 91-jährige Julie Bonhoeffer nicht nehmen, aus dem Grunewald ins Zentrum zu fahren und durch ein martialisches Spalier von SA-Männern hindurch in das „Kaufhaus des Westens“ hineinzugehen. Ein seltenes Beispiel von Zivilcourage.

Ihr Enkelsohn, der junge Theologe Dietrich Bonhoeffer, schrieb noch in denselben Tagen einen flammenden Appell: „Die Kirche vor der Judenfrage“. Darin führte er aus: Immer ist die Kirche den Opfern staatlichen Unrechts verpflichtet. Wenn aber der Staat zu einem prinzipiellen Unrechtsstaat wird, dann muss die Kirche direkt Widerstand leisten. Während die Kirche hier im Ganzen versagt hat, ist Bonhoeffers Familie genau diesen Weg gegangen. Dietrich Bonhoeffer, sein Bruder Klaus und seine Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher haben diesen Widerstand am Ende mit ihrem Leben bezahlt.

Bonhoeffer wusste etwas von diesem Zusammenhang: Das Christentum wurzelt im Judentum. In der hebräischen Bibel, unserem Alten Testament, ist die unlösliche Verbindung von Glaube und Recht durchdekliniert. Die Erfahrung der Befreiung aus der Sklaverei ist in Israel verbunden mit der Annahme der grundlegenden Menschenrechte Gottes: „Du sollst nicht töten. Du sollst nicht stehlen.“ Du sollst die Verträge einhalten, die eine Gesellschaft zu einem verlässlichen Lebensraum werden lassen. Und diese Rechte gelten für alle: für die Einheimischen wie „für den Fremdling, der in deinen Städten wohnt“.

Dietrich Bonhoeffer hat auch die Kehrseite dieses Zusammenhangs erkannt: „Eine Verstoßung der Juden aus Europa wird die Verstoßung der Christen nach sich ziehen. Denn Jesus Christus war Jude.“ Das gilt es auch heute zu begreifen: Der Kampf gegen den Antisemitismus ist auch ein Kampf für die Menschenrechte. Und der Einsatz für Menschenrechte ist auch eine Konsequenz des christlichen Glaubens. So darf uns heute die systematische Verletzung der Rechte durch eine Staatsmacht keine Ruhe lassen. In Europa gilt das derzeit vor allem in Belarus. Und in Russland. Und auch in der Türkei. In Psalm 99 heißt es: „Gottes Macht beruht auf seiner Liebe zum Recht.“ Dafür muss die Kirche einstehen."

26. Januar 2021

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